Missionsprokurator Pater Gerd Hemken SCJ ist am Dienstag, 07.03.2023, mit einem Spendentransport in die Ukraine aufgebrochen. Spenderinnen und Spender haben rund 2500 Kilogramm an Hilfsgütern – vor allem haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel – zum Kloster Neustadt gebracht.
An dieser Stelle berichtet P. Hemken regelmäßig über die Fahrt und darüber, was er vor Ort erfährt und erlebt.
Bitte bringen Sie vorerst keine Sachspenden mehr ins Kloster Neustadt. Auch die Aktion „Wchsreste für die Ukraine“ ist vorerst beendet.
Bitte nutzen Sie dafür das Spendenkonto der Missionsprokura:IBAN DE05 4006 0265 0000 1230 00BIC GENODEM1DKM bei der DKM Münster eGStichwort: Spendentransport Ukraine
Gesund, aber total müde, bin ich nach 6900 Kilometern wieder im Kloster Neustadt angekommen.
Was bleibt nach diesen intensiven Tagen? Die Menschen waren dankbar, dass wir Hilfsmittel in die Ukraine gebracht haben, die ihnen das Überleben ermöglichen. Sie sind dankbar für jedes Gebet von uns für den Frieden.
Die Reise war ungemein wichtig und informativ, um zu sehen, wie wir gemeinsam mit der polnischen Ordensprovinz in Zukunft ganz konkret helfen können. Einen Plan dafür habe ich auf den langen Autofahrten mit P. Piotr entworfen.
Es war spannend, die beiden Welten der Ukraine zu erleben: Hier die hochmoderne, hoch technologisierte und digitalisierte Welt – auf der anderen Seite die „alte Ukraine“, die anmutet wie Westeuropa vor 70 Jahren.
Auf der einen Seite die ungemein freundlichen und liebenswerten Menschen – auf der anderen Seite die bittere Not. Das ist schon heftig.
Am schlimmsten waren zwei Erkenntnisse: Die vielen alten Menschen, die zurückbleiben und oftmals kaum genug zum Überleben haben. Und dann die vielen Soldaten, die im Krieg kämpfen müssen, und ihre Familien – vor allem die Kinder –, die in unendlicher Angst um ihre Männer, Väter und Söhne sind.
Es ist jetzt 21.45 Uhr, und ich bin gerade in der Nähe von Katowiz angekommen, wo ich übernachten werde.
Mit einem bedrückenden Bild haben wir heute die Ukraine verlassen: Als wir kurz vor der Grenze zu Polen durch ein kleines Dorf fuhren, war die Straße mit schwarz gekleideten Menschen gesäumt. Auf der Bordsteinkante rechts und links der Straße stand alle paar Meter ein Grablicht.
Am Ortsausgang hatte sich eine Gruppe junger Erwachsener mit ukrainischen Fahnen versammelt. Alle warteten auf die Heimkehr eines Dorfbewohners, eines jungen Mannes, der an der Front gefallen ist.
Im Radio haben wir heute gehört, dass gestern alleine in Bachmut 200 Soldaten gefallen sind. Das alles macht einen traurig, wütend und sprachlos.
Inzwischen sind wir nach eineinhalb Stunden Zollabfertigung in Polen angekommen.
Was bleibt in Erinnerung?
Die Ukraine ist ein wunderbares großes Land mit liebenswürdigen, gastfreundlichen Menschen.
In Erinnerung bleibt, dass Hilfe Not tut und wir viel tun können.
Für Pater Piotr und mich war das die erste gemeinsame Reise in die Ukraine. Sie wird nicht die letzte sein. Auf der heutigen Fahrt haben wir einen Acht-Punkte-Plan zusammengestellt, wie wir gemeinsam mit unseren Freunden und Wohltätern der Ukraine helfen wollen. Nach Rücksprache mit unseren Provinzleitungen wollen wir den Plan bald vorstellen.
Heute Morgen haben wir um 7 Uhr im Kloster der Schwestern in Charkiw den Gottesdienst gefeiert. Anschließend war gemeinsames Frühstück, und dann haben wir uns von den Schwestern dort verabschiedet. Zunächst waren wir in der Innenstadt von Charkiw an jenem berühmten Platz, wo am 1. März 2022 die große Rakete niedergegangen ist. Große Gebäude in der Innenstadt wurden damals zerstört.
Als wir uns dort die Kriegsschäden angeschaut haben, hörten wir Sirenengeheul. Es war Raketenalarm. Das hatten wir in den vergangenen Tagen immer wieder gehört und uns nichts Besonderes dabei gedacht.
Wir sind dann losgefahren Richtung Kiew, und als wir gerade auf der Autobahn waren, haben wir im Radio gehört, dass am Stadtrand von Charkiw Raketen eingeschlagen haben. Von daher haben wir großes Glück gehabt.
Für mich war es ein besonderes Erlebnis, am Abend in der Rush Hour quer durch Kiew zu fahren. Wer dort bremst, hat verloren. Auch ansonsten: Kiew, eine Vier-Millionen-Stadt, hochmodern, ist etwas ganz Besonderes.
Wir sind jetzt wieder in Perszotrawensk, in einer kleinen Ortschaft 150 Kilometer westlich von Kiew angekommen.
2.000 Menschen leben hier, 400 davon sind katholisch, 1600 orthodox. Seit etwa 25 Jahren haben die Herz-Jesu-Priester hier ein Kloster. Im ersten Kriegsjahr sind acht Männer aus dem Ort an der Front gefallen. Vier davon waren orthodox, und vier gehörten der katholischen Gemeinde an. Aktuell sind acht Männer als Soldaten im Kriegsgebiet.
Einer von ihnen ist Sascha, 39 Jahre alt. Er und seine Frau Luda (34 Jahre alt) führen hier in ein kleines Metallgeschäft. Sie haben zwei Kinder, Max und Maryana. Max ist 14 Jahre alt und wird bald 15, seine kleine Schwester 8. Sascha ist seit vier Monaten beim Militär. Seit einem Monat ist er als Sanitäter an der Front in der Nähe von der momentan stark umkämpften Stadt Bachmut.
Luda erzählte mir von der großen Sorge und der Angst ihrer Kinder um ihren Mann Sascha. Sie hören täglich in den Medien von den schweren Kämpfen und den Verlusten rund um Bachmut. Viel Kraft, Mut und Trost schöpft die ganze Familie aus dem Glauben und aus dem Gebet.
Sie und Sascha führen, seitdem sie verheiratet sind, ein intensives gemeinsames Gebetsleben. Dieses Gebet, so sagt sie, intensiviert ihre Beziehung immer tiefer. Und so fühlen sie auch auf großer Distanz hin, ob es dem anderen gut oder schlecht geht. Durch das Gebet wissen sie sich aber auch in der Hand Gottes geborgen.
Luda ist in der Gemeinde aktives Mitglied in der Herz-Marien-Gebetsgemeinschaft von Frauen. Auch andere Soldatenfrauen kommen zu den wöchentlichen Gebetsstunden. Das gemeinsame Gebet stärkt sie. Sascha wird bis zum Ende des Krieges in der Armee bleiben. Luda sagt, dass die Trennung schmerzhaft sei. Aber dass Sascha in der Armee bleiben müsse, sei wichtig, denn schließlich gehe es um die Freiheit der Ukraine und um die Zukunft ihres Volkes.
Heute Morgen haben wir um 6.30 Uhr in Charkiw gefrühstückt. Anschießend sind wir bei traumhaftem Wetter zwei weitere Stunden Richtung Osten gefahren nach Izjum. Izjum war letztes Jahr etwa ein halbes Jahr von den Russen besetzt. Anschließend haben die Ukrainer diese Stadt zurückerobert. Ursprünglich lebten 60.000 Menschen in der Stadt, jetzt sind es nur noch 10.000. Die Stadt ist größtenteils zerstört.
Auch das öffentliche Krankenhaus, das wir besucht haben, ist zerstört. Ganz langsam fängt das Leben dort wieder an. Auf dem Weg nach Izjum haben wir sehr viele Straßensperren passieren müssen. Wir wurden oft vom Militär kontrolliert – wir haben so richtig gemerkt, dass wir mitten im Kriegsgebiet sind.
Zum ersten Mal haben wir ganz, ganz große, massive Zerstörungen gesehen. In Izjum sind vor allen Dingen die Alten und die Rentner zurückgeblieben, alle jungen Leute sind weggezogen, weggegangen, geflüchtet. Bei den Alten ist die Not auch deshalb so groß, weil sie nur 60 bis 80 Euro pro Monat an Rente bekommen. Die Lebensmittel, die man in den noch vorhandenen Läden kaufen kann, sind aber fast genauso teuer wie bei uns. Von daher waren die Menschen sehr froh, dass wir gekommen sind, um Lebensmittel zu bringen.
Auf der einen Seite haben wir 380 Pakete verteilt, für jeden Haushalt ein Paket mit den gespendeten Hilfsgütern, die wir aus Deutschland mitgebracht haben. Es kamen aber auch Dinge aus Polen dazu und vor allen Dingen auch Lebensmittel – vor allem Eingemachtes und Kartoffeln -, die uns die Menschen aus dem Westen der Ukraine mitgegeben hatten.
Am Abend haben wir in Charkiw in der Kathedrale am Gottesdienst teilgenommen. Anschließend hatten wir ein Gespräch mit dem hiesigen Bischof über die Situation in der Diözese. Ein Prozent der Ukrainer sind katholisch. In seiner Diözese, so sagt der Bischof, gibt es eigentlich 70.000 Katholiken, jetzt sind es aber nur noch 5000. Alle anderen sind geflüchtet.
Ein wichtiger Moment am heutigen Tag war, dass wir Luda mit in unserem Wagen hatten. Sie ist mit uns nach Izjum gefahren. Ihr Mann ist zurzeit in Bachmut als Soldat tätig. Er hat heute einen Tag frei bekommen, und so durften die beiden sich für ein paar Stunden in Izjum treffen. Als sie sich dann am späten Nachmittag wieder getrennt haben, war das mehr als eine herzzerreißende Szene. Man konnte kaum hinschauen.
Was bleibt am Ende des Tages in Erinnerung? Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich richtigen Krieg erlebt. Heute gingen oft die Sirenen. Und es war sehr schlimm, mitanzusehen, dass gerade die alten Menschen, die keine Chance haben, wegzugehen, zurückgeblieben sind, und jetzt schauen müssen, dass sie irgendwie über die Runden kommen.
Aber es war auch schön, diesen Menschen konkret helfen zu können.
Morgen geht es wieder zurück in Richtung Westen.
Beim wunderschönen Sonnenaufgang sind wir heute um 6 Uhr gestartet. Zunächst sind wir nach Irpin gefahren. Dort kamen wir um 9 Uhr an. Unsere drei Mitbrüder haben uns erwartet und uns ihr Kloster gezeigt. Der Bau der Kirche ist noch im Gange. Sie erzählten uns viel von den Angriffen und von den Zerstörungen in Irpin.
Um 10.30 Uhr sind wir dann weitergefahren. Es ging quer durch Kiew. Kiew ist eine Vier-Millionen-Stadt. In den vergangenen Tagen hatten wir uns förmlich in der Vergangenheit befunden, in ganz einfachen Verhältnissen auf dem Land. Kiew dagegen ist eine hoch moderne Stadt. Sie könnte mitten in Europa liegen, ganz in unserer Nähe.
Mitten in Kiew hatten wir dann eine Autopanne. Die Bremsen haben versagt. Dabei hatten wir großes Glück im Unglück, denn genau an der Stelle, wo wir die Panne hatten, war eine Mercedes-Werkstatt. Die Männer haben sich sofort um unser Auto gekümmert und es in nur eineinhalb Stunden repariert. Und weil wir mit einem Hilfstransport unterwegs sind, haben sie von uns für die Arbeitszeit für zwei Mann nur 10 Euro Arbeitslohn verlangt.
Nach Kiew ging es dann über viele, viele Kilometer bis Charkiw. Die weite Strecke war geprägt von endloser Weite. Man sagt ja, dass die Ukraine die Kornkammer Europas ist. Das kann man nur bestätigen: So weit das Auge reicht, nur Kornfelder – oder momentan schwarze Ackerfelder, tiefschwarze Erde. Unterwegs haben wir aber auch viele Flächen gesehen, die im vergangenen Jahr nicht abgeerntet werden konnten oder nicht abgeerntet wurden.
Um 20.15 Uhr sind wir in Charkiw angekommen. Charkiw liegt nur 30 km von der russischen Grenze entfernt. Erst am 9. März gab es hier Bombenangriffe. Die Raketen wurden in Russland gestartet. Von Russland bis nach Charkiw brauchen sie nur 40 Sekunden. Das bedeutet, man hat kaum eine Chance, in den Keller zu kommen.
Wir hoffen, dass wir in den kommenden Tagen so etwas hier nicht erleben werden.
Untergebracht sind wir bei den Honorathi-Sisters. Sie haben uns freundlich aufgenommen und werden uns auch morgen beim Verteilen der Lebensmittel begleiten.
Charkiw wurde in den vergangenen Wochen und Monaten schon oft angegriffen. Die russischen Soldaten waren sogar schon kurz vor dem Stadtkern. Sie wurden aber wieder zurückgedrängt.
Vor dem Krieg war Charkiw die russischste Stadt in der Ukraine. Es leben hier sehr viele Menschen, die eine enge Verbindung zu Russland haben. Inzwischen sagt man aber, dass Charkiw die ukrainischste Stadt in der Ukraine ist. Viele Leute haben ihre Meinung geändert aufgrund der Situation: Charkiw möchte unbedingt ukrainisch bleiben.
Was bleibt am Ende des Tages? Die Bilder von der endlosen Weite, von diesem riesigen Land, aber auch die Erinnerung an die vielen, vielen Straßen- und Personenkontrollen, die wir heute erlebt haben.
Ein ereignisreicher Sonntag liegt hinter mir. Der Tag begann heute Morgen um 9.30 Uhr mit dem Kreuzweg in der Kirche, anschließend war das Hochamt in polnischer Sprache und danach die Anbetung. Alles zusammen dauerte zwei Stunden. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt – das heißt hier 150 Leute. Das ist gar nicht schlecht, denn die Gemeinde hat momentan 400 Mitglieder.
Acht Männer aus der Gemeinde sind momentan an der Front, vier Männer aus der Gemeinde sind schon gefallen. Von daher ist die Sorge in der Gemeinde auch groß. Nach dem Gottesdienst bat mich der Pfarrer, ein paar Sätze zu sagen; das habe ich – genauso wie P. Piotr – auch getan. Ich habe den Menschen in der Gemeinde versichert, dass die Menschen in Deutschland an die Ukraine denken und um den Frieden und für alle in der Ukraine beten, und es eine besondere Verbundenheit zwischen den Deutschen und den Ukrainern gebe. Das Ganze wurde mit einem kräftigen Applaus quittiert.
Nach dem Mittagessen haben P. Pior und ich dann eine ukrainische Familie besucht. Dort waren wir zum Kaffeetrinken eingeladen. Wir haben etwas gehört von ihren Sorgen. Der Mann ist krank, und trotzdem besteht die Angst, dass er zum Kriegsdienst eingezogen wird. Die Ehefrau ist in großer Sorge.
Nach dem Kaffeetrinken haben wir uns dann mit Leuten aus der Gemeinde getroffen. Zwei Transporter haben wir beladen. All die Dinge, die wir am Freitagabend vorsortiert haben, wurden jetzt eingeladen, dazu kamen noch viele Sachen, die die Leute aus dem Dorf auch gespendet haben: eingemachtes Gemüse, eingemachtes Obst, Gurken – alles, was man sich so vorstellen kann.
Am Abend waren wir dann noch bei einem anderen Mitbruder, 40 km von hier entfernt, und haben ihm einige von unseren Lebensmitteln gebracht.
Morgen führ starten wir mit den beiden Transportern um sechs Uhr, dann geht es zunächst nach Kiew, von Kiew nach Irprin, dort besuchen wir unsere drei Mitbrüder, dort werden wir Sachen verteilen, und von dort aus geht es dann die weit Strecke nach Charkiw.
Charkiw ist ja eine von den ganz stark zerstörten Städten. Wir übernachten dort bei Ordensschwestern im Kloster.
Gestern habe ich davon berichtet, dass aus deutscher Perspektive hier so manches anmutet wie bei uns vor 70 oder 80 Jahren. Liturgischerseits wurde das heute bestätigt: Am Vormittag haben wir an der Eucharistiefeier der Gemeinde teilgenommen. Im Anschluss daran wurde in der Kirche von Kindern und Jugendlichen in großer Andacht der Kreuzweg gebetet. Daran schloss sich die Katechese dieser Gruppe im Pfarrhaus an.
Nicht, dass ich das kritisieren will. Aber was mit deutschen Augen auf der einen Seite als beneidenswert erscheint, mutet zugleich an wie aus einer anderen Zeit.
Nach dieser spirituellen Erfahrung haben Pater Piotr und ich das örtliche Flüchtlingsbüro besucht. Auch hier im Dorf leben 130 Binnenflüchtlinge. Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen – trotz der eigenen Armut – hilfsbereit sind. So gibt es unter anderem hinten in der Kirche eine Stelle, wo Lebensmittel für Binnenflüchtlinge abgelegt werden können. Heute lag dort keine Schokolade oder Kaffee oder Tee – Dinge also, die man kaufen muss -, sondern eingemachtes Obst und Gurken, gepökelter Speck und selbstgemachte Wurst. Die Menschen teilen das, was sie selber produzieren.
Am Mittag kamen unser Generaloberer aus Rom, Pater Carlos Luis Suarez Codorniú und der Generalrat Pater Artur Sanecki SCJ mit fast allen ukrainischen Mitbrüdern zusammen.
Im Anschluss an das Mittagessen haben wir lange überlegt, wie wir gemeinsam konzentriert in der Ukraine helfen können. Gute Ideen wurden dabei entwickelt. Neben einem neuen medizinischen Zentrum wurde über weitere Hilfstransporte in Zusammenarbeit mit der polnischen Provinz gesprochen.
Auch soll es im Sommer hier in Perszotrawensk ein Sommercamp für ukrainische Kinder geben sowie eine Ferienfreizeit in unserem Kloster in Maria Martental in Deutschland für ukrainische Jugendliche. Für viele von ihnen sind diese Veranstaltungen etwas, worauf sie im grauen Kriegsalltag hinfiebern.
Nachdem die Russen gestern viele Orte in der Ukraine bombardiert haben, ist heute vielerorts der Strom ausgefallen. So auch hier im Kloster in Perszotrawensk und in der ganzen Umgebung.
Wenn es keinen Strom gibt, dann gibt es hier auch kein Wasser. Es gibt keine allgemeine Wasserversorgung. Viele Häuser haben einen Brunnen vor dem Haus. Mit Eimern wird immer noch Wasser geschöpft. Manche Häuser haben eine Wasserpumpe. Die funktioniert aber nur, wenn Strom da ist. Diese Tatsache ist ein Beispiel dafür, dass wir uns hier in einer sehr armen Region befinden. Wenn man durch die Dörfer fährt, dann ist das eine Zeitreise. Aus deutscher Perspektive fühlt man sich 70 Jahre und mehr zurückversetzt.
Am heutigen Vormittag haben wir drei Mitbrüder in ihren Pfarreien besucht und ihnen Lebensmittel aus Deutschland gebracht. Sie erzählten von den vielen Männern aus ihren Gemeinden, die jetzt an der Front sind. Und davon, dass manch einer, der zuvor noch nie in der Kirche gesehen worden war, vor seinem Einzug zum Militär zum Pfarrer kam, um zu beichten und um seinen Segen zu bitten.
Ein Mitbruder erzählte aber auch von einer Soldatenbeerdigung in seiner Gemeinde in der letzten Woche. Als der Sarg mit dem toten Soldaten ins Dorf gebracht wurde, stand das ganze Dorf am Straßenrand und kniete nieder, als der Sarg vorübergetragen wurde. Herzzerreißend!
Bei unseren Fahrten überland haben wir viel Militär gesehen. In jedem größeren Ort gibt es Straßensperren.
Am Nachmittag haben wir eine Stiftung besucht, die sich psychologisch um vom Krieg traumatisierte Kinder kümmert. Wir unterstützen diese Stiftung finanziell. Heute Abend waren einige Ehrenamtliche hier im Kloster und haben all unsere Spenden in Taschen aufgeteilt.
Am Montag fahren wir nach Irpin, Charkiv und Izjum, eine der am meisten zerstörten Städte. Dort werden wir die Tüten an bedürftige Familien verteilten.
Was bleibt am Ende des Tages besonders in Erinnerung? Die Armut in dieser Region der Ukraine, die auch schon vor dem Krieg da war und jetzt noch verstärkt wird. Es ist aber auch das Bild mit den Ehrenamtlichen präsent, die aktiv ihren Landsleuten helfen.
Der Tag begann verheißungsvoll mit einem tollen polnischen Frühstück im Hotel in Rzezow. Um 8:30 Uhr sind wir in Richtung Grenzstation Budomierz gestartet. Als wir an der hochgesicherten Grenzstation ankamen, war nur ein Wagen vor uns. Wir waren voller Hoffnung, dass wir die Grenze schnell passieren können. Aber dem war nicht so. Die Abfertigung dauerte 3 Stunden und 30 Minuten. Warum? Keiner konnte es uns sagen.
Von der Grenzstation bis zu unserer Kommunität in Perszotrawensk waren es dann 440 km. Für diese Strecke brauchten wir 8 Stunden und 30 Minuten, ohne Pause. Die Straßen waren teilweise so schlecht, dass wir nur im Schritttempo fahren konnten. Bis auf einige Straßensperren und Barrikaden an Brücken haben wir vom Krieg nicht viel mitbekommen. In den Dörfern und Städten schien alles normal zu sein.
Als wir um 22:45 die Kommunität erreichten, wurden wir schon von Pater Jan und unserem Kandidaten Sergio mit einem leckeren Abendessen und aktuelle Kriegsinformationen erwartet. Auch in dieser Region sind in der letzten Nacht Raketen eingeschlagen. Die nächste bombardierte Stadt ist 65 km entfernt.
Ein bisschen mulmig ist mir schon. Wir hoffen das Beste – für uns und die Ukraine.
Die Fahrt am ersten Tag bis Görlitz hat problemlos geklappt. Görlitz ist eine traumhaft schöne Stadt, hat eine super erhaltene Bausubstanz. Nach einer erholsamen Nacht bin ich am zweiten Tag nach 587 Kilometern staufrei in Rzeszow angekommen. Die Route führte über Breslau, Katowitz, Krakau und Tarnow.
Unterwegs habe ich auf der Autobahn weder Hilfstransporte noch Militär gesehen. Es gab keine Hinweise darauf, dass es in Richtung „Krieg“ geht. Kurz nach mir traf auch mein polnischer Amtsbruder Pater Piotr Chmielecki SCJ im Hotel ein, mit dem ich in den kommenden Tagen unterwegs sein werde.
Nach einer kurzen Erfrischung haben wir unsere Spenden in einen polnischen Transporter verladen, mit dem wir morgen in die Ukraine fahren werden. Ferner haben wir noch einen zweiten Transporter von der Hilfsorganisation Pro Spe beladen, der auch morgen in die Ukraine fährt. Wir hatten über die polnische Provinz diese Organisation, die von einem ehemaligen Studenten unserer Gemeinschaft, Pfarrer Gierula geleitet wird, schon früher mit Geld unterstützt.
Beim anschließenden Abendessen berichteten Pfarrer Gierula und Pater Piotr von der Schwierigkeit, in der Ukraine vertrauenswürdige Partner und Hilfsorganisationen zu finden. Gleichzeitig erzählten sie, dass es auch schwierig sei, wirklich bedürftige Menschen zu finden. Die Not, so sagen sie, ist unendlich groß – aber nicht bei allen.
Der Ukraine zu helfen ist ganz, ganz wichtig. Aber es ist wohl nicht einfach, die richtigen Adressen zu finden. Korruption gibt es auch bei der Hilfe. Somit bin ich auf die kommenden Tage gespannt.